Nervosität in Vorträgen, Angst vor Zwischenfragen und Lampenfieber auf Bühnen schwächen, das haben viele von uns schmerzlich erfahren. Die üblichen Floskeln zur Abhilfe wie Reden lernt man nur durch Reden oder Kommt Zeit, kommt Rat helfen hier nicht wirklich weiter, da die Problematik nicht an der Wurzel angegangen wird, sondern nur durch Gewöhnung überdeckt wird. Viele Menschen lösen diese Herausforderungen auf diese Weise. Ebendiese Menschen brauchen hier nicht weiterzulesen.
Wer der Sache allerdings auf den Grund gehen will, der findet im Folgenden einige Denkanstöße.
Machen wir uns erst einmal klar, worüber wir nachdenken wollen. Wir wollen von einer Situation, die uns mehr oder weniger stark irritiert, hin zu persönlicher Ruhe und Klarheit. Mit anderen Worten: von der Selbst-Un-Sicherheit zur Selbst-Sicherheit.
Die wirkungslosen Tipps
Ein guter Freund wird sagen, nun stell dich mal nicht so an, du hast schon ganz andere Sachen gewuppt, oder, stell dir die Menschen noch alle einmal nackt vor, dann wird deine Nervosität schon sinken, oder auch, die Menschen im Saal haben doch alle genauso viel Angst vor der Bühne, die sind doch nur froh, dass du da oben stehst und nicht sie selber. Das könnte eventuell helfen, hat jedoch den großen Nachteil, dass es viel mentale Kraft benötigt, diese Gedanken im Ernstfall auch wirklich zu denken und präsent zu halten.
Tatsächlich brauchen wir unsere gesamte Kraft, um die Inhalte des Vortrages rüberzubringen, um den Kontakt zum Publikum zu halten, mit den Unwägbarkeiten der Technik umzugehen usw. Da bleibt keine Energie übrig, sich den rundlichen Mann in der dritten Reihe links nackt vorzustellen, ganz zu schweigen von dem attraktiven blonden Mann der fünften Reihe oder der nicht minder attraktiven Schwarzhaarigen in der achten Reihe. Wir brauchen offensichtlich ein anderes Konzept, eines, das uns in der entscheidenden Situation entlastet, anstatt uns noch mehr aufzubürden.
Ich schlage deshalb einen Umweg vor. Wir beschäftigen uns nicht mit unserer Selbst-Un-Sicherheit oder mit dem Lampenfieber oder den Bühnenangst, sondern mit unserer Reaktion auf diese.
Die Akzeptanz
Das bedeutet für mich als erstes, dass mein Ziel nicht ist, die Bühnenangst wegzudrücken oder irgendwie anders weg zu kriegen, sondern im Gegenteil, sie anzunehmen. Ich akzeptiere meine Reaktionen auf das Lampenfieber (zittrige Knie, unsichere Stimme, schweißnasse Hände, Gefahr des Blackouts…) und deute Sie für mich neu. Ich begrüße diese Auswirkungen als körperliche Zeichen dafür, dass ich den Vortrag und die Situation absolut ernst nehme und sie mir sehr viel bedeuten.
Und das erstaunliche ist, dieses kann ich vorher trainieren. Ich versetze mich gedanklich in die Situation, beobachte die körperlichen Phänomene und – begrüße sie. So gewöhne ich mich daran, dass sie auftreten können. Wenn ich jetzt wieder einen Vortrag halte, habe ich keine Angst vor den körperlichen Phänomenen, denn ich kenne sie und habe sie beim Training X mal erlebt. Und auch erlebt, dass ich trotzdem handlungsfähig bleibe und selbstverständlich die Welt nicht zusammenbricht oder ich vor lauter Angst sterbe. So bin ich schon viel entspannter. Ich habe jetzt keine Angst mehr, Angst zu bekommen, sondern erlaube der Angst, sich zu zeigen.
Die Isolation
Der nächste Schritt ist, dass ich gut für mich sorge. Ich könnte zum Beispiel die Angst auf einer leeren Bühne als eine völlig natürliche Reaktion verstehen. Denn diese von den Menschen getrennte Situation entspricht absolut nicht meinen bisherigen Erfahrungen. Von Geburt an habe ich die Zuwendung von Menschen gehabt, um überhaupt zu (über)leben und mich zu entwickeln. Und plötzlich stehe ich völlig getrennt da, alle schauen auf mich, ich bin ganz allein. Und ich könnte dieses Gefühl der Verlorenheit und des Getrenntseins umdeuten. Es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass ich definitiv nicht allein war auf der Welt und dass die Verbindung zu den anderen Menschen lebenswichtig war. Die Sehnsucht nach der Verbundenheit mit den Menschen zeigt sich in der großen Angst.
Jetzt brauche ich nur noch ein wenig in die Aktivität zu gehen, um diese Verbindung zu den Menschen wiederherzustellen. Die Vertrautheit kann ich natürlich nicht mit einer Umarmung erzeugen, wie ich sie als Säugling erfahren habe. Zum Glück gibt es andere Kanäle, diese Verbindung wiederherzustellen. Der wichtigste Kanal dürfte der Blick sein. Sobald ich intensiven Blickkontakt zu einer Person habe, wird ein Hin- und Her-Schwingen entstehen, wird diese Vertrautheit schnell wieder da sein, wenn ich diese Person mit einem lebendigen Interesse anschaue. Ich könnte mich zum Beispiel fragen, ob die Brille, die Frisur, die Schminke, der Bart oder die Kleidung angemessen sind und den Charakter dieser betreffenden Person unterstreichen. Ich könnte versuchen zu erforschen, ob einzelnen Personen mich ebenfalls mit lebendigem Interesse anschauen. Dann könnte ich, im Vorfeld, wichtige Passagen meines Vortrages mit Gesten trainiert haben, so dass ich körperlich auch bewegt bin und das Wichtige mit meiner ganzen Person deutlich mache. All dies führt dazu, dass ich spreche, wie ich normalerweise im Freundeskreis sprechen würde, locker und zugewandt. Ich überwinde also das Gefühl der Isolation durch Installation von vertrauten Prozessen wie Blickkontakt, lebendiger Verbindung zu den Menschen, Gestik, Mimik usw.
Das Warum
Als drittes frage ich mich, warum ich eigentlich da vorne stehe und rede. Wenn ich weiß, warum ich den Menschen erzähle, was ich erzähle, und vor allem, wie ich ihr Leben damit besser mache, ihr Wissen erweitere oder ihnen einfach helfe, kann ich mit einer ganz anderen Überzeugung sprechen. An diesen Fragen darf ich wirklich arbeiten, und zwar so lange, bis ich nervös mit den Hufen scharre, wenn ich nur an den Vortrag denke.
Diese Überzeugung wirkt natürlich auch auf mich zurück, macht mich stärker, zielstrebiger, orientierter. Ich fühle mich sicherer, kann kraftvoller sprechen, bin gefeit gegen Störungen, Zwischenrufe und kritischen Fragen, ich stehe einfach, klar und selbstwirksam meine Frau bzw. meinen Mann. Und habe vermutlich einen Riesenspass.
Drei Schritte
So habe ich meine Selbst-Un-Sicherheit in den drei Schritten Akzeptanz des Lampenfiebers, lebendiges Interesse an den Menschen und Stärkung meines Warum gewandelt in Selbstsicherheit. Ein kleiner Umweg, der sich gelohnt hat.