Kontrollverlust: Die Stimme zittert, die Knie schlackern

Stress beim Reden und Präsentieren

Die typischen Symptome des Kontrollverlustes bei einem großen rednerischen Auftritt kennen wir (fast) alle. Der Körper funktioniert nicht mehr, Bewegungen werden fahrig, das Denken setzt aus, die Stimme wird piepsig und der Schweiß drängt aus allen Poren. Das alles muss nicht sein. 

Ich spüre es wie gestern: Alles ist bestens vorbereitet. Der Inhalt ist sauber recherchiert, die Powerpoint Präsentation steht, die Worte sind x-mal gesprochen. Und jetzt dies! Die Knie zittern, feuchtnasse Hände, kalter Angstschweiß auf der Stirn, die Stimme droht zu versagen. Das Gehirn läuft auf Hochtouren. Die gute Vorbereitung kommt überhaupt nicht zum Tragen, der Vortrag verpufft.

Aber, berufliche Stresssituationen, die uns an die persönliche Belastungsgrenzen bringen, lassen sich „entschärfen“. Neben dem Sprechtraining ist die Erforschung und Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit wichtig, getreu dem über 2000 Jahre alten griechischen Motto „Erkenne dich selbst“. Denn eine in sich ruhende, ihrer selbst bewusste Persönlichkeit kann auch in einer Stresssituation souverän und gelassen reagieren. Sie stellt sich z. B. entspannt vor einen mit hunderten von Personen besetzten Saal und redet. Ohne kalten Angstschweiß. Mit klarem Geist.

Viele Faktoren

Lampenfieber ist nur einer von vielen beruflichen Stressfaktoren. Zeitdruck, persönliche Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten, unverhältnismäßiger Arbeitsumfang oder das hier im Vordergrund stehende Lampenfieber haben eines gemeinsam: Sie bringen den Menschen aus seiner Mitte. Es nützt also recht wenig, gegen das Lampenfieber ein „Anti Lampenfieber-Programm“ einzustudieren oder gegen die schlaflose Nächte verursachenden Herausforderungen ein „Anti Herausforderung-Programm“ zu lernen.  Suchen wir lieber nach der Ursache hinter den belastenden Einflüssen.

Andere wahrzunehmen beruhigt

Zentraler Angelpunkt ist, erstaunlicherweise, sich selbst genau wahrzunehmen, den Raum, die anderen Menschen. Indem man seine Sinne, vorrangig das Sehen und das Hören, schult, bekommt man einen besseren Kontakt zu sich selber. Wenn ich zum Beispiel das Sehen modifiziere, indem ich nicht ein Objekt aktiv anstarre, sondern die von ihm ausgehenden Bilder zu mir strömen lasse und innerlich aufnehme, was man als einen passiven Vorgang empfinden kann, verändert sich meine Weltsicht. Ich bin nun in der Lage, sehr viel genauer wahrzunehmen, was von den Menschen, mit denen ich spreche, ausgeht. Ich bin daran interessiert wahrzunehmen, ob sie wach oder verschlafen aussehen, ob sie blitzende oder trübe Augen haben oder ob sie eine vitale oder matte Körperspannung haben.  Auch schaue ich in mich hinein und registriere, wie all dies auf mich wirkt und welche Gefühle es in mir auslöst.

Und schon hat sich etwas verändert. Ich schaue nicht mehr mit vor Furcht geweitetem Blick auf die Katzen im Saal, die mich kleine Maus am Rednerpult fressen wollen, sondern ich freue mich darüber, so viele verschiedene Menschen mit so vielen verschiedenen Ausstrahlungen anschauen zu dürfen. Wenn Ihnen dieses gelingt, und das kann jeder Mensch erreichen, werden Sie eine völlig andere Figur da vorne machen. Und es wird Ihnen, möglicherweise im Gegensatz zu bisherigen Erfahrungen, einen Riesenspaß machen, Ihr Anliegen den Menschen zu vermitteln. Stressfrei.

Antennen nutzen: Fäden in der Hand behalten

Und man kann die Wahrnehmungsfähigkeit noch weiter verfeinern. Jeder kennt das Gefühl, eine Person zu treffen und sicher zu wissen, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Nonverbale Signale haben eine eindeutige Information übermittelt. Oder Sie betreten einen Raum und spüren sofort, ob hier eine gelöste lockere Atmosphäre herrscht oder Stress.

Wir haben diese Antennen. Und dürfen sie benutzen. Wenn Sie Ihre Wahrnehmung für die atmosphärischen Schwingungen verfeinert haben, betreten Sie einen Besprechungsraum oder ein Rednerpodium mit hellwachen Sinnen. Und Sie wissen sofort, was vorgeht. So können Sie souverän und gelassen auf die jeweilige Stimmung reagieren und auf sie eingehen. Damit behalten Sie die Fäden in der Hand. Ansonsten würden sie vielleicht mit Ihrem Statement oder Ihrer Rede beginnen und plötzlich merken, dass Ihnen die Führung entgleitet. Je genauer Sie also Ihre Sinne geschult haben und Ihre feinen Wahrnehmungen ernst nehmen, umso genauer agieren Sie und kommunizieren Sie.

Theorie erfahrbar machen

Theoretische Hintergrundinformationen erweitern den Horizont und ermöglichen eine genauere Beobachtung des Kommunikationsprozesses. Es empfiehlt sich, sich mit Kommunikationstheorien wie z.B. den bekannten gedanklichen Werkzeugen „Vier Seiten einer Nachricht“ oder „Inneres Team“ des berühmten Hamburger Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun zu beschäftigen. Und sofort in der Praxis zu trainieren. Man erforscht sein Sprechen und Hören unter diesen theoretischen Gesichtspunkten, bekommt Feedback. Die Gesprächsführung wird souveräner, Missverständnisse werden minimiert und der gesamte Kommunikationsprozess gestaltet sich eleganter.

Mit Distanz zugewandter

Souveräner wird man auch, wenn es einem gelingt, mit einem größeren Abstand auf eine Situation zu blicken und alle relevanten Aspekte wahrzunehmen. Ein schönes Bild ist das des darüber schwebenden Adlers. Wir sehen nicht nur unsere Position, sondern auch die des Gegenübers und können damit für beide Seiten Verständnis entwickeln. Wir bauen keine Mauern um uns auf und sind offener für die Beweggründe des Gegenübers. Wie so häufig ist es ein Paradox: mit Distanz können wir zugewandter sein.

Nicht zu einem Phantom reden

Spannend ist auch der Prozess der Nachrichtenverarbeitung. Wenn ich über eine Person ein negatives (oder positives) Urteil habe, kann diese Personen sagen was sie will, ich werde es negativ (oder positiv) deuten. Insofern kommuniziere ich nicht mit der realen Person, sondern mit einem Phantom.

Stehen wir also zu unserer menschlichen Voreingenommenheit, treten einen Schritt zurück und hören uns die Argumente der unsympathischen (oder sympathischen) Person offen an. Denn es geht doch um die Sache, oder?